„Die Wirtschaft näher zum Menschen bringen“

Kategorien: Business + Netzwerk, Wohnen + Stadtteilentwicklung
Postet am: 25.08.2022
von Wien 3420 AG
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Schon in diesem Herbst kann man ihn beziehen: Der Gewerbehof Seestadt als zukunftsträchtiges Pilotprojekt zeigt, wie man die Wirtschaft in ein harmonisches, funktionierendes Stadtquartier integrieren kann.

Von Barbara Wallner

Die Tischlerei, in die ihre Lehrlinge zu Fuß kommen, der Installateurbetrieb in der Nachbarschaft, die Polstermanufaktur, der man zwischendurch einmal bei der Arbeit zusehen kann. Dieses Szenario ist vor allem im städtischen Raum eine Seltenheit. Die Wirtschaft ist für viele von uns ein abstraktes Gebilde, von dem wir in der Zeitung lesen. Wir assoziieren sie nicht mit dem Tischler, der unseren Kasten baut, dem Installateur, der unseren Geschirrspüler anschließt. Die Wirtschaft ist in unserem Zuhause, in unserer Nachbarschaft – und das soll man sehen und wahrnehmen, wenn es nach Rainer Holzer geht, Immobilienchef der Wirtschaftsagentur Wien: „Die Wirtschaft muss wieder näher an den Menschen heranrücken.“ Wer von uns weiß schon so genau, was in unseren Lebensmitteln verarbeitet ist? Wie eine Couch entsteht? Holzer ist das ein Dorn im Auge. Der jahrzehntelange Trend, Wohnen, Produktion und Arbeiten in getrennten und eigens geschaffenen Vierteln stattfinden zu lassen, ist in der modernen Stadtentwicklung längst als Fehler entlarvt. Ein funktionierendes, harmonisches Stadtquartier mischt diese Nutzungen, lässt sie sinnvoll interagieren.

Maßgeschneidert für die Produktion. Hier kommt der neue Gewerbehof der Seestadt ins Spiel: ein Pilotprojekt, das dieses Konzept veranschaulichen und als Vorbild dienen soll. Ansiedeln sollen sich hier vor allem kleinere und mittlere Unternehmen sowie Handwerksbetriebe – Holzer nennt etwa Glasereien, Möbelbauer und Ähnliches als Beispiele: „Wir wollen in unmittelbarer Nachbarschaft ein Dienstleistungsangebot schaffen, das ein neuer Stadtteil einfach braucht.“ Betriebe brauchen ein passendes Umfeld, damit sie sich entfalten können. In der Stadt ist das nicht einfach – entweder begnügt man sich dann mit Notlösungen oder verlässt die Stadt, erklärt Holzer: „Man kämpft mit der heranrückenden Wohnbebauung und teilweise veralteten Gebäudestrukturen. Da ist es schwer, sich weiterzuentwickeln und zu vernünftigen Bedingungen zu wirtschaften.“ Der Gewerbehof denkt die Kombination aus Stadt und Produktionsinfrastruktur völlig neu, so Holzer: „Ein Sorgenkind ist immer die Logistik: Man kann nicht gut parken, muss in zweiter Spur be- und entladen, die Verkehrsanbindung passt nicht. Das macht den Alltag kompliziert und frisst Zeit. Der Gewerbehof wurde von Anfang an für Produktion konzipiert und schafft all diese Probleme aus dem Weg.“ Zur Ausstattung gehören eine Sammelgarage, eine überdachte Ladezone, in der sogar Sattelschlepper Platz finden, Schwerlastaufzüge, großzügige Lagerflächen und eine zentrale Entsorgung von Spezialmüll. Das Gebäude selbst ist auch statisch an die Bedürfnisse von produzierenden Betrieben angepasst, mit entsprechend breiten Gängen für E-Hubfahrzeuge und hohen Deckentraglasten, so dass in jedem Stockwerk produziert werden kann.

Geteilte Fläche ist gesparte Fläche. „Bisher sind Unternehmen – oft mangels Alternativen – auf die grüne Wiese gegangen und haben selbst gebaut. Das kostet Platz“, meint Holzer. Was sich sonst also in die Breite ausdehnt, stapelt man hier – und sagt damit einem weiteren massiven Problem den Kampf an: dem Flächenfraß. Auch Wien werde sich in den nächsten Jahren der Diskussion stellen müssen, wie man den Bedürfnissen einer modernen Stadt gerecht wird, ohne hektarweise Landschaft zuzubetonieren, ist Holzer überzeugt. Mit Konzepten wie dem Gewerbehof sei das möglich, die Betriebe teilen sich Infrastruktur wie Logistikflächen, Sanitäranlagen und Ähnliches. Dem Thema Klimaschutz wird man auch im Bereich der Energie gerecht, so ist die PV-Anlage auf dem Dach eine Selbstverständlichkeit.

Gutes Ausbildungsnetzwerk. Eine funktionierende Wirtschaft braucht Zukunftsperspektiven – und die sind nun einmal abhängig von den Mitarbeitern der Zukunft. „Ganz in der Nähe ist das Berufsschulzentrum, wo Unternehmen ihre Lehrlinge rekrutieren können“, erklärt Holzer. Gleich im angrenzenden Quartier errichtet die Stadt Wien ein neues Zentralberufsschulgebäude für sechs kaufmännische Berufe und die Berufsschule für Baugewerbe. Der Neubau für 7500 Schülerinnen ergänzt dann das Angebot der bestehenden Bildungseinrichtungen in der Nachbarschaft. Dies besteht derzeit aus zwei Bildungscampussen der Stadt Wien, dem Bundesgymnasium am Maria-Trapp-Platz, einer Privatuniversität und der VHS Seestadt. Wirtschaft – insbesondere Produktion – muss man erleben, ist Holzer überzeugt. Gerade im Handwerk gibt es so viel zu sehen. Und der Gewerbehof macht es möglich: In der Erdgeschoßzone sind Schauräume der etwas anderen Art geplant. Hier bewundert man nicht fertige Produkte, hübsch arrangiert und bereit zum Abholen. Nein, die Produktion ist der Hauptdarsteller: „Hier haben wir die Chance zu zeigen, wie Produktion funktioniert und sich entwickelt. Dinge wie 3-D-Druck werden unsere Gesellschaft und unseren Alltag verändern – je früher sich jeder und jede von uns damit beschäftigt, umso besser.“ Wenn man an der Erdgeschoßzone vorbeispaziere, müsse man sehen, dass Industrie keine abgeschottete Geschichte sei, sondern ein lebendiger, sich entwickelnder Bestandteil unseres Lebens.

Gute Anbindung, angenehmes Umfeld. Insgesamt bietet der Gewerbehof Platz für rund 40 Unternehmen, 200 neue Arbeitsplätze sollen hier entstehen. Das bedeutet: 200 Menschen werden einen großen Teil ihres Alltags hier verbringen, werden täglich von ihrem Zuhause zum Gewerbehof pilgern. Unternehmen müssen sich also zwei Fragen stellen: Wie gut ist die Verkehrsanbindung? Und: Fühlen sich meine Mitarbeiter hier wohl? Der Gewerbehof, gelegen in der Sonnenallee 122, ist keine 5 Minuten Fußweg von der U-Bahn-Station Seestadt entfernt, die Mittagspause kann man im Sommer im benachbarten Seepark verbringen. Mit dem Auto ist man in wenigen Minuten auf der A23 und mit der Fertigstellung der bereits in Bau befindlichen Stadtstraße wird die Verbindung noch effizienter sein. Diese wird massiv zur Entlastung von Betrieben und den Bewohnern der Donaustadt beitragen. Die 3,2 Kilometer lange Straße wird teilweise entlang der U2- bzw. der Bahntrasse der S80 und der Regionalbahn nach Bratislava verlaufen und bei Hirschstetten eine Anbindung an die A23-Südosttangente haben. Rund die Hälfte der Stadtstraße wird übrigens unterirdisch geführt, die restliche Strecke ist 2–3 Meter tiefer gelegt.

Pilotprojekt mit Vorbildwirkung. Primär möchte man Handwerk ansprechen – aber nicht nur. Wesentlich sei es, eine produktive, vernetzte Community zu schaffen, erklärt Holzer „Wir wollen keine Branche ausschließen, es soll ein gesunder, interessanter Mix werden.“ Die Flächen werden so übergeben, dass Unternehmen sie genau an ihre Bedürfnisse anpassen können. Die Wirtschaftagentur begleitet diesen Prozess und überprüft auch gleich, ob Förderungen möglich sind. Ist der Gewerbehof einmal etabliert, soll er als Best-Practice-Beispiel positioniert werden, mit Fokus auf den Austausch von Know-how. Schließlich sei es ja nicht das Ziel der Wirtschaftsagentur, nun überall Gewerbehöfe hinzustellen, meint Holzer, vielmehr möchte man Nachahmer finden: „Unser Anspruch ist es, zu zeigen, dass ein solches Konzept funktioniert und zukunftsträchtig ist. So dass die Privatwirtschaft Interesse daran entwickelt, es nachzumachen.“ Schließlich kann die Zukunft nur dann eintreten, wenn alle mitmachen.

Pilotprojekt Gewerbehof
Auf insgesamt 7500 Quadratmetern Gesamtflächeentsteht der Gewerbehof der Wirtschaftsagentur Wien als smartes Gebäude für produzierendes Gewerbe und Handwerk. Flexibel und kompakt sind hier ganze Betriebe unter einem Dach vereint, unterstützt durch kurze Lieferwege, durchdachte Logistik und Flächen zwischen 50 und 500 Quadratmetern, die angemietet und individuell angepasst werden können.
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