Eine Ausstellung und das Potential politischer Bildung im öffentlichen Raum
Seit Sommer 2022 lädt die Ausstellung „Was hat die Verfassung mit mir zu tun?“ am Ufer des asperner Sees zur Auseinandersetzung mit Demokratie und der österreichischen Bundesverfassung. Die als Comicstrip gestaltete Intervention
im öffentlichen Raum richtet sich vor allem an Jugendliche und junge Erwachsene. Anlässlich der Finissage mit Ende Februar
luden die Seestädter Entwicklungsgesellschaft Wien 3420 und das Jüdische Museum Wien (JMW) zum Pressegespräch. Mit dem Wiener
Vizebürgermeister und Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr und der Demokratieforscherin Tamara Ehs sprachen JMW-Direktorin
Barbara Staudinger und Wien 3420-CEO Gerhard Schuster über ihre Ziele und Learnings aus der gemeinsamen Initiative, geplante
Folgeprojekte und über das Potenzial politischer Bildung im öffentlichen Raum.
Der Schau vorangegangen waren eine von Adina Seeger kuratierte Ausstellung des JMW zu Hans Kelsen und zur österreichischen
Bundesverfassung sowie eine Graphic Novel von Pia Plankensteiner, die zur Ausstellung im MANZ Verlag publiziert wurde. Zentraler
Bezugspunkt für die Umsetzung des Projekts war ein intensiver Austausch mit den in der Seestadt aktiven Institutionen der
Kinder- und Jugendarbeit und mit zahlreichen jungen Menschen, um deren Interessen und Themen aufzugreifen und in die Ausstellung
zu intergieren. Daraus entstand ein großflächiger Comicstrip, der direkt am Seeufer Jugendliche, Spaziergänger*innen, Badegäste
und Kulturinteressierte anspricht, um gleichermaßen humorvoll wie niederschwellig Wissenswertes zu Demokratie, Freiheit, Gleichheit
und Rechtsstaat zu vermitteln. Die in den Gesprächen mit den Jugendlichen aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen und Lebensumstände
herausgearbeiteten Fragen lauten beispielsweise: Was bedeuten Meinungs- und Religionsfreiheit? Wie ist das österreichische
Wahlrecht geregelt? Wie entwickelten sich Lesben- und Schwulenrechte? Wie schützt der Rechtsstaat vor Diskriminierung?
Was hat die Verfassung mit aspern Seestadt zu tun?
Die Seestadt schreibt als neuer und – auch demographisch – junger Stadtteil Wiens in seiner Entwicklung Partizipation und
Teilhabe groß. Gleichzeitig waren mehr als 40% der Bewohner*innen der Seestadt bei der Bundespräsidentenwahl 2022 nicht wahlberechtigt.
„Angesichts dieses Widerspruchs sahen wir die Auseinandersetzung des Jüdischen Museums Wien mit der Person Hans Kelsen und
der Verfassung als Steilvorlage für ein gemeinsames Kunstprojekt im Dienste der Demokratiebildung“, erklärt Wien 3420-CEO
Gerhard Schuster, der Kunst und Kultur als wertvolle Wegbegleiter im Stadtwerdungsprozess der Seestadt erlebt. „Wir haben
den Anspruch, einen Stadtteil zu entwickeln, der verbindet, konstruktiv in die Zukunft geht und seine Bewohner*innen auf vielen
Ebenen zum Mittun animiert. Die im Austausch mit Seestädter Institutionen und jungen Menschen entstandene Ausstellung ist
uns also nicht nur ein gesellschaftspolitisches Anliegen, sondern auch beispielhaft für unsere Arbeit.“
Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr freut sich über die Initiative und betont, dass eine lebendige Demokratie junge Generationen
einbinden müsse: „Die Initiative zeigt, was für einen Wert Demokratie für jeden einzelnen hat – gerade für junge Menschen.
Es geht darum, seine Meinung zu sagen und sich für seine Anliegen einzusetzen. So bindet eine lebendige Demokratie auch junge
Generationen ein. Mich macht es als Jugendstadtrat besonders stolz, dass wir erstmals ein wienweites Kinder- und Jugendparlament
eingeführt haben, bei dem Kinder und Jugendliche die Möglichkeit haben, ihre Stimme einzubringen, sich für ihre Projekte stark
zu machen und mit der ‚erwachsenen‘ Politik in Austausch zu treten. Zudem wird mit der partizipativen Kinder- und Jugendmillion
zusätzlich 1 Million Euro jährlich für Projekte investiert, die Kinder und Jugendliche selbst vorgeschlagen, ausgearbeitet
und darüber abgestimmt haben. Wir stellen die nächste Generation in den Mittelpunkt unserer Politik, denn Wien soll zur kinder-
und jugendfreundlichsten Stadt der Welt werden! Daher bin ich sehr dankbar für diese Initiative, welche die politische Bildung
im öffentlichen Raum stärkt.“
Das unterstreicht auch die Demokratieforscherin Tamara Ehs, die Städte und Gemeinden beim Ausbau deliberativer Demokratie
berät und aktuell als Gastwissenschafterin an der Goethe-Universität Frankfurt am Main an der Forschungsstelle „Demokratische
Innovationen“ arbeitet: „Unsere Studien belegen, dass Jugendliche außerschulische Bildungsangebote wie Erstwählerworkshops
und unkonventionelle Vermittlungsangebote besonders schätzen. Außerdem geben sie in Umfragen an, dass sie gern noch mehr über
ihre Rechte als Bürger lernen wollen. Allerdings ist ihnen auch leidvoll bewusst, dass sie demographisch und rechtlich im
Nachteil sind: Parteien orientieren sich an den Über-50-Jährigen; im Vergleich zur Gesamtbevölkerung gibt es unter den Jungen
überdurchschnittlich viele Nicht-Wahlberechtigte. Das liegt auch am strengen Staatsbürgerschaftsrecht, das selbst viele hier
Geborenen ausschließt.“
Vom asperner See auf zu neuen Ufern
Aufgrund des großen Interesses plant das Jüdische Museum Wien nun, die Ausstellung an weiteren Standorten in Wien zu zeigen,
und hofft, an den Erfolg in der Seestadt anknüpfen zu können, um viele Menschen in andern Teilen Wiens für unsere Verfassung,
für Demokratie und Rechtsstaat begeistern zu können. Dazu Barbara Staudinger, Direktorin des Jüdischen Museums Wien: „Mit
dieser Ausstellung rücken wir unsere Verfassung ins öffentliche Bewusstsein. Das Wissen um die Grundfesten unseres Staates
fördert und erleichtert unser demokratisches Miteinander. Mit der Ausstellung ‚Was hat die Verfassung mit mir zu tun?‘ bringen
wir diese Themen in den öffentlichen Raum, zu den Menschen in alle Wiener Bezirke und machen so Inhalte politischer Bildung
im Vorübergehen erfahrbar. Unser Dank gilt der Seestädter Entwicklungsgesellschaft Wien 3420, auf deren Einladung wir dieses
schöne Projekt entwickelt haben, das von der Seestadt aus nun an andere Standorte in Wien wandern kann.“